Digital Audio, Sampling und die Rechte von UrheberInnen
Dr. Tobias Hartmann, 01. Oktober 2023
Sampling und Urheberrecht
Seit dem Jahr 1997 streiten sich die Band Kraftwerk, vertreten durch zwei ihrer Mitglieder – Ralf Hütter und Florian Schneider-Esleben († 21. April 2020) – mit dem Hip-Hop-Produzenten Moses Pelham um die Benutzung eines wenige Sekunden langen Samples. Das Verfahren durchlief bislang alle möglichen Instanzen, einige davon sogar mehrfach. Im Laufe der Jahre hat es sich zu einem äußerst umfassenden Themenkomplex entwickelt. Der folgende Beitrag thematisiert die zentralen Verfahrensschritte, die jeweils betroffenen Instanzen sowie deren Urteile und Entscheidungen.Siehe zum gesamten Verfahrensgang: OLG Hamburg, Entscheidung vom 28. April 2022 – 5 U 48/05 (https://dejure.org/2022,9271). In seinem Artikel Neues Urteil: Sampling-Streit zwischen Kraftwerk und Pelham geht in die nächste Runde auf iRights info kommentiert und erläutert Georg Fischer das aktuellste der vorliegenden Urteile. Eine umfassende Darstellung und Kritik des Verfahrens bis zum Jahr 2015 liefert Frédéric Döhls Aufsatz Einige Anmerkungen zur Metall-auf-Metall Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und dessen Folgen für fremdreferenzielles Komponieren qua Sound Sampling. Siehe diesbezüglich auch: Anmerkungen zum aktuellen Rechtsstreit über Musik-Sampling – »Kraftwerk (Ralf Hütter) vs. Moses Pelham« – und zur Frage nach rassismuskritischer, semiotischer Demokratie (Ismaiel-Wendt 2018), Mashup in der Musik – Fremdreferenzielles Komponieren, Sound Sampling und Urheberrecht (Frédéric Döhl 2016), Kreatives Remixing – Musik im Spannungsfeld von Urheberrecht und Kunstfreiheit (Florian Pötzlberger 2018), Sampling in der Musikproduktion. Das Spannungsfeld zwischen Urheberrecht und Kreativität (Georg Fischer 2020) und Creative License – The Law and Culture of Sampling (Kembrew McLeod / Peter DiCola 2011). Dabei wird der Themenkomplex Sampling und Urheberrecht entlang der Entwicklung dieses Prozesses erläutert und kommentiert. Daran anschließend wird in kompakter Form der aktuelle Stand zum Thema Sampling und Urheberrecht dargestellt. Siehe dazu auch (aus juristischer Perspektive): Frédéric Döhl (2021): Die Urheberrechtsreform 2021 und ihre Konsequenzen für die künstlerische Kreativität Abschließend wird als Beitrag zur weiteren Diskussion dieses hoch aktuellen Themenfeldes auf die Idee verwiesen, sich in juristischen Verfahren an systemisch reflektierter medizinischer Diagnostik zu orientieren. Dieser Ansatz scheint sich als wertvoll zu erweisen, um der Komplexität von Zusammenhängen bei einer Entscheidungsfindung gerecht zu werden und konstruktiv zu begegnen. Dies ist als Alternative aufzufassen, zu den aktuell dominierenden und – wie am Ende erläutert werden wird – mitunter gefährlichen Regulierungen, insofern sich diese als einseitig informiert sowie vorschnell umgesetzt und übertragen erweisen. Einleitend bleibt mir an dieser Stelle noch darauf hinzuweisen, dass ich mich nicht als Jurist oder Rechtsexperte verstehe. Vielmehr verfolge ich eine künstle-rische und forschende Herangehensweise, um die relevanten Diskurse einge-hend zu untersuchen und mich ihnen im Detail anzunähern.
Der Fall Metall auf Metall
Juristische Grundlagen wie Gesetzte und Richtlinien, auf denen Verhandlungen von Streitfragen zum Thema Sampling vor Gericht basieren, variieren je nach Gerichtsstandort. Auch können sie im Laufe der Zeit geändert werden. Dieser Beitrag basiert in überarbeiteter und aktualisierter Form auf dem Kapitel Sampling im juristischen Kontext: Der Fall »Metall auf Metall«. In: Tobias Hartmann (2022): Das Phänomen Sampling – Eine multiperspektivische Annäherung. Hildesheim: Georg-Olms-Verlag: S. 201-208. und thematisiert die aktuell gültigen Richtlinien am Gerichtsstandort Deutschland als einem Mitglied der Europäischen Union. Diese resultieren aus den zuletzt ergangenen Urteilen des Bundesgerichtshofs (I ZR 115/16 vom 30.04.2020) und dem Oberlandesgericht Hamburg (5 U 48/05 vom 28.04.2022) im so genannten Fall Metall auf Metall.
Nachdem das Verfahren im Jahr 1997 eröffnet wurde, fällte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in den Jahren 2016 und 2017 zwei zentrale Urteile in diesem Prozessmarathon. Das BVerfG rief jedoch bei der Urteilsverkündung den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) an, seine Entscheidung bezüglich der Harmonisierung mit Europäischem Recht zu prüfen. Der EuGH veröffentlichte die Ergebnisse seiner Prüfung im Jahr 2019 und verwies das Verfahren zurück an den Bundesgerichtshof (BGH). Dieser hat mit seinem Urteil vom 30.04.2020 die ab sofort geltenden Richtlinien maßgeblich geprägt und das Verfahren wurde zur vermeintlich abschließenden Klärung der Streitfragen zurück an das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) übergeben. Nachdem das OLG bereits in den Jahren 2006 und 2011 dieses Verfahren zu bearbeiten hatte, befasste sich dort der 5. Zivilsenat erneut mit dem Streitfall und verkündete seine Entscheidung in der Sache 5 U 48/05 – Metall auf Metall III am 28.04.2022. Die bis dato verbleibenden klagenden Mitglieder der Band Kraftwerk gingen daraufhin erneut in Revision. Das Verfahren ist daher noch nicht abgeschlossen und aktuell in Revision vor dem Bundesgerichtshof anhängig (I ZR 74/22, Stand April 2023). Auch ist eine erneute Vorlage beim EuGH zu erwarten. Zunächst wird das Urteil des BGH vom 30.04.2020 erläutert und das darin implizierte Verständnis von Sampling in Bezug zu den vorangegangenen Urteilen durch das BVerfG und den EuGH gesetzt.Siehe dazu: Urteil des BGH vom 30. April 2020 in der Sache I ZR 115/16. Daran anschließend wird die aktuelle Entscheidung des OLG (die bislang zehnte Entscheidung in diesem Verfahren) thematisiert.
Die klagenden Mitglieder der Band Kraftwerk sahen ursprünglich durch die Form der Nutzung eines Samples durch den Hip-Hop-Produzenten Moses Pelham bei der Produktion des Songs Nur Mir
Erschienen auf: Sabrina Setlur - Nur Mir (Pelham Power Productions – 3P. Frankfurt, 1997)
die Urheberrechte an ihrem Song Metall auf Metall
Erschienen auf: Kraftwerk – Trans Europa Express (Kling Klang. Düsseldorf, 1977)
verletzt. Zu Beginn des Prozesses wurde jedoch bereits von früheren Instanzen festgestellt, dass die betroffene Rhythmussequenz musikalisch nicht durch das Urheberrechtsgesetz geschützt ist, da es in seiner damaligen Form nur einen Schutz von Melodien ermöglichte. Musikalische Aspekte der Tonkunst wie einzelne Töne, Harmonien und Harmoniefolgen, sowie Klangfarben und eben auch rhythmische Strukturen galten grundsätzlich als frei – um zukünftiges musikalisches Schaffen zu garantieren – und genossen daher keinen Schutz durch das Urheberrecht.Vgl. Döhl 2015: 4.
Gegenstand des Rechtsstreits vor dem BGH war daraufhin der folgende Sachverhalt:
Die Kläger sind Mitglieder der Musikgruppe »Kraftwerk«. Diese veröffentlichte im Jahr 1977 einen Tonträger, auf dem sich das Musikstück »Metall auf Metall« befindet. Die Beklagten […] sind die Komponisten des Titels »Nur mir« […] mit der Sängerin Sabrina Setlur auf im Jahr 1997 erschienenen Tonträgern […]. Zur Herstellung des Titels hatten die Beklagten zwei Sekunden einer Rhythmussequenz aus dem Titel »Metall auf Metall« elektronisch kopiert (»gesampelt«) und dem Titel »Nur mir« in fortlaufender Wiederholung unterlegt.
Die Kläger sehen dadurch ihre Rechte als Tonträgerhersteller verletzt. Sie haben die Beklagten auf Unterlassung in Anspruch genommen, Tonträger mit der Aufnahme »Nur mir« herzustellen und in Verkehr zu bringen. Außerdem haben sie die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten, Auskunftserteilung und Herausgabe der Tonträger zum Zweck der Vernichtung verlangt.Sachverhalt BGH 2020b.
Der BGH verkündete zwar in einem früheren Urteil, dass die Verwendung des besagten Samples durch den Hip Hop-Künstler Moses Pelham urheberrechtlich unbedenklich ist. Da es sich nicht um eine Melodie, sondern um eine kurze rhythmische Figur handelt, die in Veränderter Form zur Gestaltung eines neuen, selbstständigen Werkes verwendet wurde, fiel es laut dem damaligem Urheberrechtsgesetz unter die Schranke der freien Benutzung. Allerdings betrifft dies nur den Zeitraum vor dem 22.12.2002. Seit diesem Stichtag sind zusätzlich zum nationalen Recht auch die Bestimmungen der EU-Urheberrechtslinie 2001/29/EG zu berücksichtigen. Denn das geltende Recht am Gerichtsstandort Deutschland muss ab diesem Stichtag in verschiedenen Bereichen des Urheberrechts mit europäischem Recht harmonieren. Dadurch rückten Aspekte des Vervielfältigungsrechts, anstelle denen des Urheberrechts ins Zentrum der Argumentation. Denn laut den gelten EU-Richtlinien ist »die Vervielfältigung eines – auch nur sehr kurzen – Audiofragments eines Tonträgers durch einen Nutzer grundsätzlich als eine teilweise Vervielfältigung anzusehen«Abs. 1 Buchst. aa BGH 2020b.. Durch das jüngere Urteil des BGH wurde daraufhin bestätigte, dass Sampling grundsätzlich als das Erstellen einer elektronischen Kopie definiert ist, und dass es sich bei dem betroffenen Sample um die unerlaubte teilweise Vervielfältigung eines Tonträgers handelt. Einzelne Samples können also – vereinfacht ausgedrückt – mit einer illegalen Tonträgerkopie verglichen werden. Durch diese strikten Vorgaben der besagten EU-Richtlinie sollen die Rechte von Tonträgerherstellern und -vertrieben besser geschützt und deren wirtschaftliche Interessen gestärkt werden. Sampling-KünstlerInnen ist es Stand dieser Rechtslage somit praktisch unmöglich, ihre Kunst frei auszuüben und Produkte ihres Kunstschaffens zu veröffentlichen oder zu verwerten. Der BGH erkannte dieses Dilemma und stellte diesbezüglich fest, dass diese Regelung im Widerspruch zu der im deutschen Grundrecht verankerten Kunstfreiheit steht. Auch geriet sie mit dem damals noch existierenden § 24 des Urheberrechtsgesetz in Konflikt, da dieser eigentlich das Recht auf freie Benutzung von existierenden Werken zur Schaffung von neuen selbstständigen Werken gewährleistete und deren Veröffentlichung auch ohne die Zustimmung der UrheberInnen der verwendeten Werke erlaubte. Auf diesen Widerspruch bezugnehmend entschied der BGH zwar im Wesentlichen dem EuGH folgend, jedoch mit der Ausnahme, dass keine Vervielfältigung vorliegt, wenn durch Sampling bis zur Unkenntlichkeit veränderte Audiofragmente bestehender Werke zum Bestandteil eines neuen selbstständigen musikalischen Werkes werden:
Eine Vervielfältigung […] liegt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs jedoch nicht vor, wenn ein Nutzer in Ausübung der Kunstfreiheit einem Tonträger ein Audiofragment entnimmt, um es in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form in einem neuen Werk zu nutzen.Abs. 1 Buchst. aa BGH 2020b.
Insgesamt sind durch das vom BGH am 30.04.2020 gefällte Urteil folgende maßgeblichen Vorschriften zusammengetragen worden, die zur Beurteilung von Streitfragen bezüglich der Nutzung von Samples zu berücksichtigen sind:
Die europäische Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts sieht vor, dass in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft ausschließlich die Hersteller von Tonträgern darüber verfügen können, durch wen und in welcher Form diese vervielfältigt werden dürfen oder nicht. Art. 2 Buchst. c 2001/29/EG Die einzelnen Mitgliedsstaaten können diesbezüglich jedoch Ausnahmen und Beschränkungen vornehmen, wenn es sich bei der Nutzung um eine Form des Zitierens handelt. Art. 5 Abs. 3 Buchst. d 2001/29/EG Dazu muss der betroffene Schutzgegenstand allerdings bereits der Öffentlichkeit rechtmäßig zugänglich gemacht worden sein, die Quelle einschließlich des Namens des Urhebers angegeben werden, die Nutzung den anständigen Gepflogenheiten entsprechen und in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck (zum Beispiel im Rahmen einer Kritik oder Rezension) gerechtfertigt sein. Ausnahmen können auch für Fälle von sogenannter beiläufiger Einbeziehung gelten sowie der Nutzung zum Zweck der Karikatur, Parodie oder Pastiche. Art. 5 Abs. 3 Buchst. i und k 2001/29/EG Darüber hinaus sehen die Richtlinien des europäischen Rechts vor, dass die Hersteller von Tonträgern das alleinige Recht dazu haben, diese und Kopien davon durch Veräußerung oder auf sonstige Weise der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b 2006/115/EG.
Diese Vorschriften sind allerdings im Einklang mit national geltendem Recht anzuwenden und daher mit dem deutschen Urheberrechtsgesetz und Grundgesetz abzustimmen. Dahingehend sind im deutschen Recht vor allem die beiden folgende Vorschriften relevant:
Das Grundgesetz besagt, dass Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre frei sind. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Die Kunstfreiheit darf also nicht ohne weiteres eingeschränkt werden. Zum damaligen Zeitpunkt und bis zu dessen Streichung am 07.06.2021 erlaubte § 24 Abs. 1 des Urheberrechtsgesetz, dass ein neues selbstständiges Werk, welches in freier Benutzung eines anderen Werkes geschaffen worden ist, ohne die Zustimmung des Urhebers des benutzten Werks veröffentlicht und verwertet werden konnte.Vgl. Maßgebliche Vorgaben BGH 2020b.
Mit seinem damaligen Urteil stärkte der BGH also die Vorgaben des EuGH erheblich. An dieser Stelle ist ein Blick zurück auf den einige Jahre früheren Verlauf des Verfahrens sowie die früher gefällten Entscheidungen hilfreich. Denn dadurch wird erkennbar, dass der BGH zentrale Aspekte verwarf, auf denen das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sein Urteil aus dem Jahr 2016 stützte, und das der deutschen Rechtslage und damit dem Grundgesetz sowie dem Urheberrecht in seiner damaligen Form mehr Gewicht gegenüber dem EU-Recht verlieh. Damals reichte Moses Pelham Verfassungsbeschwerde beim BVerfG ein, da er sich durch die vorangegangenen juristischen Entscheidungen als Hip Hop-Künstler in der freien Ausübung seiner Kunst eingeschränkt sah. Bemerkenswert am Urteil des BVerfG aus dem Jahr 2016 ist vor allem die Forderung der Bundesrechtsanwaltskammer im Rahmen ihrer Stellungnahme zum Urteil:
Die Bundesrechtsanwaltskammer hält die Verfassungsbeschwerde für begründet. Gerade der Musik des Hip-Hop gehe es darum, sich mit alten und bekannten Klängen auseinanderzusetzen und diese in einen neuen, aktuellen musikalischen Kontext zu stellen. Das Finden einzigartiger, unverbrauchter Originale aus dem unbegrenzten Medienarchiv sei dabei ein zentraler Teil der künstlerischen Arbeit. Beim Sampling sei aus einer Technologie, die anfangs nur zur Simulation akustischer Instrumente entwickelt worden sei, ein künstlerisches Verfahren geworden, das inzwischen selbst als Inspirationsquelle für eine Musikergeneration diene.
Das faktische Verbot des Sampling durch den Bundesgerichtshof stelle einen Eingriff in die Kunstfreiheit dar, weil sich Sampling nicht im technischen Vorgang der Anfertigung einer elektronischen Kopie von Tonpartikeln erschöpfe, sondern selbst eine freie schöpferische Gestaltung darstelle.Abs. A IV Absch. 2 Rn. 39–40 BVerfG 2016.
In den Jahren zuvor konnte – was im Verfahren Metall auf Metall auch so gemacht wurde – vor Gericht argumentiert werden, dass von professionellen MusikerInnen und ProduzentInnen zu erwarten sei, durch Nachspielen und Imitation zu einem vergleichbaren musikalischen Ergebnis wie durch Sampling zu kommen. Konflikte mit dem geltenden Recht (jener Jahre) seien so zu vermeiden und eine künstlerische Eigenleistung zur Legitimation eines neuen eigenständigen Werkes in ausreichender (Schöpfungs-)Höhe wäre feststellbar. Darauf bezugnehmend ist die Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer im Rahmen der Urteilsfindung durch das BVerfG als eine Sternstunde dieses Prozessmarathons anzuerkennen, denn sie besagt:
Eine kunstspezifische Betrachtung verbiete es, die Künstler auf das Nachspielen der entnommenen Sequenzen zu verweisen; denn die Verwendung des Originals sei beim Sampling wesentlicher Bestandteil des künstlerischen Ausdrucks.Abs. A IV Absch. 2 Rn. 40 BVerfG 2016.
Das Urteil des BVerfG schloss daraufhin mit der Feststellung, dass »Sampling zu tongestalterischen Zwecken« gleichermaßen von der Kunstfreiheit geschützt werden muss, wie wenn es »zum Zweck der kritischen Auseinandersetzung mit dem Original erfolgt«Abs. C II Absch. 1 Rn. 96 BVerfG 2016.. Darüber hinaus wurde in diesem Urteil Sampling als »wesentliches Element eines experimentell synthetisierenden Schaffensprozesses« beschrieben und (mit einem Zitat des ausgewiesenen Sampling-Experten Rolf Großmann) als künstlerisches Mittel zur »ästhetischen Reformulierung des kollektiven Gedächtnisses kultureller Gemeinschaften«Abs. C II Absch. 1 Rn. 99 BVerfG 2016. als essenzielles künstlerisches Element der Hip Hop-Kultur anerkannt. Demnach wäre Sampling – verstanden als eine Form der Ausübung einer künstlerischen Praxis – im Grunde nicht mehr zu unterbinden gewesen und das Grundgesetz (Freiheit der Kunst) wäre vor wirtschaftliche Interessen (durch vorrangigen Schutz der Verwertungsrechte) gestellt worden. Das BVerfG entschied 2016, dass die von den zuvor angerufenen juristischen Instanzen gefällten Entscheidungen die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf künstlerische Betätigungsfreiheit verletzt hätten.Abs. D I BVerfG 2016. Es verwies die Sache daraufhin mit der Auflage an den BGH zurück, bei einer erneuten Entscheidung »die hinreichende Berücksichtigung der Kunstfreiheit«Abs. D II BVerfG 2016. sicherzustellen. Allerdings hatte der BGH für Nutzungshandlungen nach dem 22.12.2002 auch zu prüfen, »inwieweit durch vorrangiges Unionsrecht noch Spielraum für die Anwendung des deutschen Rechts bleibt«Abs. D III Rn. 112 BVerfG 2016. – was zu den zuvor dargestellten Verlauf nach sich zog.
Die Auswirkungen des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 30.04.2020
Mit Inkrafttreten des Urteils des BGH vom 30.04.2020 wurde schließlich die Entscheidung des BVerfG hinter die Vorgaben des EuGH gestellt und die Argumentation des BVerfG zu Gunsten der Kunstfreiheit nahezu vollständig hinfällig. Die Richtlinien am Gerichtsstandort Deutschland lassen sich seitdem wie folgt zusammenfassen:
Sampling ist immer eine Form der Vervielfältigung eines Tonträgers. Sampling wird als elektronischer Kopiervorgang definiert, bei dem ein Ausschnitt aus einem medial bereits veröffentlichten musikalischen Werk in ein neues musikalisches Werk eingebunden wird, das als selbstständig anerkannt werden kann. Der Umfang beziehungsweise die zeitliche Dauer des Abschnitts ist dahingehend unerheblich. Nur wenn im neuen Kontext hörend nicht mehr auf das Original geschlossen werden kann, ist es möglich zu argumentieren, dass in diesem Falle keine Vervielfältigung vorliegt. Plakativ gesprochen ist Sampling nur erlaubt, wenn davon nichts zu hören ist. Hörend (wieder-)erkennbare Samples zu verwenden ist in der Regel juristisch problematisch. Die Kunst des Sampling – zu verstehen als die kulturelle und künstlerische Praxis der medialen Auseinandersetzung mit der musikalischen Geschichte, durch Nutzung des gesamten Archivs aller Medienprodukte einer Gesellschaft – unterliegt demnach strengen Restriktionen.
In der Urteilsbegründung ist jedoch eine auffällige Diskrepanz erkennbar: Einerseits bezieht sich die Definition von Sampling ausschließlich auf einen einzelnen technologischen Aspekt. Indem Sampling unmissverständlich und ausschließlich als elektronisches Vervielfältigungsverfahren definiert wird, werden Aspekte der auditiven Wahrnehmung diesbezüglich kategorisch ausgeschlossen. Denn es ist zunächst ohne Belang, ob das Kopierte überhaupt hörbar beziehungsweise erkennbar ist oder ob der Umfang eines kopierten Ausschnitts ausreicht, um einen Informationsgehalt zu tragen oder inhaltlich etwas zu vermitteln. Andererseits wird im Streitfall explizit auf die menschliche auditive Wahrnehmung gesetzt, um zu prüfen, ob eine Vervielfältigung auf ein Original verweist, beziehungsweise verweisen kann. Da es mittlerweile technisch möglich ist, selbst die Verwendung von stark transformierten Samples in einem musikalischen Kontext maschinell und automatisiert nachzuweisenVgl. van Balen 2011; van Balen et al. 2013., bleibt die Frage offen, wieso der BGH diese Möglichkeiten nicht berücksichtigt und im Grunde sogar explizit ausschließt. Fest steht, dass zukünftige Entscheidungen dadurch von menschlicher Urteilsbildung abhängig sein werden und die Möglichkeit einer Beweisführung mit Mitteln und Argumenten jenseits der Fähigkeiten der menschlichen auditiven Wahrnehmung im Grunde ausgeschlossen ist.
Daher kann das Urteil das BGH so verstanden werden, dass es zukünftig einen Spielraum lässt, um wesentliche Argumente der Urteilsbegründung des BVerfG zu Gunsten der Kunstfreiheit zu berücksichtigen. Denn zur Beurteilung eines bestimmten Einzelfalles gibt es zum aktuellen Zeitpunkt noch keine Richtwerte und jeder juristische Konflikt fordert daher eine individuelle Auseinandersetzung mit der Materie und einen zwischenmenschlichen Disput. Es wird künftig also einen gewissen Spielraum geben, wenn hörend zu beurteilen ist, ob eine Vervielfältigung vorliegt (Sampling wäre dann unrechtmäßig im Sinne einer unerlaubten Vervielfältigung, womit das Wahren wirtschaftlicher Interessen im Vordergrund steht) oder nicht (Sampling wäre dann erlaubt im Sinne der freien Ausübung einer künstlerischen Praxis, wodurch das Grundrecht stärker gewichtet wird). Darüber hinaus müssen die entscheidenden Gerichte prüfen, ob – wie nachfolgende dargestellt – Ausnahmen vorliegen und dementsprechend urteilen. Denn liegt ein Ausnahmefall vor, so können auch hörend erkennbare Samples legitim sein und das Urheberrecht dadurch in die Schranken gewiesen werden.
Die Folgen der Änderung des Urheberrechtsgesetz am 07.06.2021
Während des laufenden Verfahrens verabschiedete der Bundestag am 31. Mai 2021 das »Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes« Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes (31. Mai 2021).. Dies hatte Änderungen des Urheberrechtsgesetz zur Folge, welche am 07.06.2021 in Kraft traten. Zur Umsetzung der Harmonisierung des deutschen und europäischen Rechts wurde dabei die Möglichkeit der freien Benutzung vollständig gestrichen. Dies trägt im Wesentlichen zur Stärkung der wirtschaftlichen Interessen von Tonträgerherstellern und -verwertern bei. Dahingegen wurde die im deutschen Urheberrechtsgesetz bereits bestehende Ausnahmeregelung für Zitate um die zuvor vom EuGH formulierten Schrankenregelungen Parodie, Karikatur und Pastiche erweitert: Siehe dazu auch: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss), Drucksache 19/29894, S. 6 ff.
Es entfällt § 24 UrhG i. d. F. vor 07.06.2021 (Freie Benutzung). Wie zuvor bereits erläutert, besagte dieser Paragraph, dass »ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden darf.« (§ 24 (1) UrhG i. d. F. vor 07.06.2021) Nur, »wenn eine Melodie erkennbar dem Werk entnommen und einem neuen Werk zugrunde gelegt wird« (§ 24 (2) UrhG i. d. F. vor 07.06.2021) konnte dies den Rahmen der freien Benutzung sprengen und eine Verletzung des Urheberrechts vorliegen. Demnach konnte ausschließlich das Samplen einer (wieder-)erkennbaren Melodie als urheberrechtlich problematisch betrachtete werden. Alle anderen Formen des Sampling wären im Sinne der freien Benutzung zulässig.
Der bestehende § 51 UrhG (Zitate) wird um § 51a (Karikatur, Parodie und Pastiche) ergänzt. Zusammen betrachtet können diese beiden Paragraphen das Urheberrecht einschränken, insofern folgende Bedingungen erfüllt sind:
Zulässig sind die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck des Zitats, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist. (§ 51 UrhG)
Zulässig ist die Vervielfältigung, die Verbreitung und die öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches. (§ 51a UrhG i. d. F. ab 07.06.2021)
Ist ein Artefakt der Tonkunst als neues und selbstständiges Werk anzuerkennen und kann es sich als Zitat eines bereits öffentlich zugänglichen Werkes rechtfertigen, oder stellt es eine Karikatur, Parodie oder Pastiche dar, so kann also das Urheberrecht eingeschränkt werden. Ist dies der Fall, besteht die Möglichkeit, dass das besagte neue Werk von dessen UrheberIn auch ohne Zustimmung der RechteinhaberInnen des bereits veröffentlichten Werkes vervielfältigt, verbreitet und öffentlich wiedergegeben werden kann.
Für die Kunst des Sampling hat diese Änderung des UrhG zur Folge, dass die Verwendung von (wieder-)erkennbaren Samples aus bereits vorliegenden Werken aktuell nur innerhalb dieser Schranken urheberrechtlich unbedenklich sein kann. Das resultierende Werk muss sich allerdings immer als Zitat, Karikatur, Parodie oder Pastiche rechtfertigen können. Der durch diese Regelungen geschaffene Argumentationsspielraum kann als Mediation zwischen den im Grundgesetz verankerten Freiheitsrechten wie der Kunst- und Pressefreiheit und den im Urheberrechtsgesetz festgeschriebenen Richtlinien zum Schutz wirtschaftlicher Interessen verstanden werden.An dieser Stelle sei auch auf das im Zuge der Reform des UrhG am 1. August 2021 in Kraft getretene Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG) verwiesen. Darin sind unter Artikel 3 die so genannten Bagatellschranken formuliert, welche ebenfalls das Urheberrecht einschränken können. Einen ausführlichen Beitrag zu diesem Thema leistet Georg Fischers Artikel Remixes, Memes, Pastiche: Welche Regeln gelten jetzt beim Hochladen nutzergenerierter Inhalte? auf iRights info.
Das Urteil des Oberlandesgerichtes vom 28.05.2022
Das OLG Hamburg fällte am 28.04.2022 sein bislang drittes Urteil im Verfahren Metall auf Metall. Dabei hatte der damit befasste 5. Zivilsenat sowohl die aktuell gültigen Richtlinien zu berücksichtigen, als auch die Möglichkeiten der neuen Spielräume zur Einschränkung des Urheberrechtsgesetzes in seiner aktuellen Fassung. Von Seiten der verbliebenen Kläger konnte gegen die zentrale Entscheidung dieses Urteils – Sampling sei im vorliegenden Fall als Pastiche zu werten – Revision eingelegt werden. Von dieser Möglichkeit machten die Klagenden unmittelbar Gebrauch, so dass das Verfahren aktuell erneut beim BGH anhängig ist. Da der betroffene Sachverhalt eine erstmalige Anwendung des aktualisierten deutschen Urheberrechts nach dessen Harmonisierung mit europäischem Recht darstellt, ist zu erwarten, dass der Fall per so genanntem Vorabentscheidungsersuchen sogar wieder dem EuGH vorgelegt werden wird. Siehe dazu: Kraftwerk legen Revision zum BGH ein: Streit um "Metall auf Metall" geht immer noch weiter. In: Legal Tribune Online, 13.05.2022. Da sich die Rechtslage im laufenden Verfahren wie zuvor erläutert verändert hatte, musste das OLG drei Zeiträume mit jeweils anderer Rechtslage gesondert berücksichtigen: Phase 1 betrifft die Gesetzeslage vor dem 22.12.2002. Phase 2 betrifft die Gesetzeslage vom 22.12.2002, dem Stichtag zur Berücksichtigung der EU-Urheberrechtslinie 2001/29/EG, bis zum Inkrafttreten des geänderten UrhG am 07.06.2021. Phase 3 betrifft die daran anschließende Zeit und markiert damit den aktuell gültigen rechtlichen Rahmen. Siehe dazu: Urteil des Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg 5. Zivilsenat – Metall auf Metall III (28.04.2022) 5 U 48/05, ECLI:DE:OLGHH:2022:0428.5U48.05.00. Nachfolgend wird auf die Randnummern dieses Urteils verwiesen.
Für die erste Phase bestätigte das OLG die bereits zuvor festgestellte Unschuld der Beklagten, sowie die Rechtmäßigkeit ihrer Handlungen. Es wurde entschieden, dass Sampling während Phase 1 nicht in Konflikt mit dem Urheberrecht steht, da es in diesem Zeitraum als freie Benutzung eines vorliegenden Werkes zu werten ist und der Schutz einer Melodie nicht greift. Die Grundlagen dieser Entscheidung sind in zwei dem Urteil vorangestellten Orientierungssätzen zusammenfasst:
1. Wird eine etwa zwei Sekunden lange Rhythmussequenz als fortlaufende Unterlage in einem neuen Musiktitel (Sampling) übernommen, kann es sich um eine freie Benutzung in entsprechender Anwendung von § 24 Abs. 1 UrhG handeln, wenn ein selbständiges Werk geschaffen wird.
2. Eine übernommene Rhythmussequenz mit besonderen Klangeffekten stellt keine Melodie im Sinne von § 24 Abs. 2 UrhG dar.
Verurteilt wurden die Beklagten nur für ihre Handlungen im Zeitraum der zweiten Phase, da dem Senat in diesem zeitlichen Abschnitt »eine Anwendung der vom Bundesverfassungsgericht erkannten Schutzschranken« OLG 5 U 48/05, Rn. 124. verwehrt ist. Laut geltendem Recht in den Jahren 2002 bis 2021, haben die Beklagten die Rechte der Kläger als Tonträgerhersteller verletzt, was mit der Erkennbarkeit des besagten Samples zu begründen ist: Zu den Details siehe Rn. 118 ff.
Diese Sequenz, die die Einleitung des Stücks „N. m.“ bildet, ist deutlich wahrnehmbar und für den mit dem Werk der Kläger vertrauten Hörer auch erkennbar. [Es] besteht nicht nur eine Wahrnehmbarkeit, sondern der geneigte Hörer - also das Hörverständnis eines durchschnittlichen Musikhörers (BGH, GRUR 2020, 843 Rn. 29) - erkennt auch das Original wieder, jedenfalls wenn er beide Stücke nacheinander hört. OLG 5 U 48/05, Rn. 123.
Demzufolge liegt »eine 1:1-Kopie im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union vor«. OLG 5 U 48/05, Rn. 133. Auch wurde schlussendlich festgestellt, dass die entnommene Rhythmussequenz »die Anforderungen an ein urheberrechtlich geschütztes Werk« OLG 5 U 48/05, Rn. 134. erfüllt. Denn der Senat hatte bislang offengelassen, »ob die erforderliche Schöpfungshöhe erreicht wird«, was »indes zu bejahen« OLG 5 U 48/05, Rn. 139. sei. Die Beklagten werden verurteilt, Rechnung zu legen und Auskunft zu erteilen, über die Anzahl von zwei der hergestellten Tonträger, die den Titel mit dem strittigen Sample enthalten. Die noch verbliebenen der besagten Tonträger müssen zur Vernichtung herausgeben werden. Als Gesamtschuldner werden die Beklagten dazu verpflichtet, den Klagenden jeden Schaden zu ersetzten, der ihnen durch die Herstellung und den Vertrieb dieser Schallaufnahmen im Zeitraum der Phase 2 entstanden ist.
Die Entscheidung des OLG, die dritte Phase ab Juni 2021 betreffend ist wegweisend für den weiteren Verlauf des Verfahrens, sowie Grundlage zukünftiger Streitfälle zum Thema Sampling und Urheberrecht:
Die im Streitfall in Rede stehende Vervielfältigung der Sequenz aus „M. a. M.“ und ihre Überführung in ein eigenständiges neues Werk im Wege des Sampling fällt nach Auffassung des Senats unter den Begriff des Pastiches. OLG 5 U 48/05, Rn. 89.
Demnach ist Sampling im vorliegenden Falle urheberrechtskonform. Hinsichtlich der Fragen, was laut Urteil des OLG unter einem Pastiche zu verstehen sei und warum es sich im vorliegenden Fall bei dem durch Sampling neu geschaffene Werk um ein Pastiche zu handeln habe, liefert die Urteilsbegründung eine umfassende Ausführung:
Im Kern gehe es bei einem Pastiche um einen »kommunikativen Akt der stilistischen Nachahmung« der »eine bewertende Referenz auf ein Original voraussetzt«. Dabei ist auch »die Übernahme fremder Werke oder Werkteile erlaubt«. Neben möglichen betroffenen Fallgruppen wie »Fan-Fiction, Remix oder Memes«, sei Sampling laut Gesetzgeber »ausdrücklich« als ein möglicher Fall des Pastiches anzusehen.
5 U 48/05, Rn. 91 OLG
Das OLG begegnet mit dieser Argumentation der Vorgabe, dass »gesetzliche Erlaubnisse stets mit Blick auf die neuen elektronischen Medien gelesen werden müssen« und »bei ihrer Auslegung die Besonderheiten des jeweiligen analogen und digitalen Umfelds sowie der technologische Fortschritt berücksichtigt werden sollten«.
5 U 48/05, Rn. 92 OLG
Unabhängig davon, muss wie bei Zitaten, Karikaturen und Parodien, auch das Pastiche »eine Auseinandersetzung mit dem vorbestehenden Werk oder einem sonstigen Bezugsgegenstand erkennen lassen«, denn es soll dabei der »Dialog und die künstlerische Auseinandersetzung durch Bezugnahmen auf bereits bestehende Werke« ermöglicht werden.
5 U 48/05, Rn. 94 OLG
Im Streitfall um eine »transformative Nutzung« in diesem Sinn, muss dennoch eine sorgfältige Abwägung aller betroffenen Interessen gewährleistet werden. Ein »angemessener Ausgleich« zwischen den berechtigen Interessen sowie den Rechten der Rechtsinhaber eines betroffenen Schutzgegenstandes und »der freien Meinungsäußerung des Nutzers eines geschützten Werkes«, »der sich auf die Ausnahme für Parodien, Karikaturen und Pastiches beruft«, muss gewahrt werden. Damit eine Abgrenzung zum unzulässigen Plagiat gegeben ist, muss »das ältere Werk allerdings so benutzt werden, dass es in einer veränderten Form erscheint«. Dazu ist es ausreichend, dem neuen Werk »andere Elemente hinzuzufügen oder das [ältere] Werk in eine neue Gestaltung zu integrieren«
5 U 48/05, Rn. 95 OLG.
Das OLG stellte fest, dass »das Stück „N. m.“ […] mit der entlehnten Tonfolge eine stilistische Nachahmung im Sinne einer Hommage an das Werk „M. a. M.“ der Kläger«
5 U 48/05, Rn. 97 OLG
enthalte. Dadurch würden allerdings »die Interessen der Kläger nicht übermäßig beeinträchtigt«
5 U 48/05, Rn. 100 OLG
werden. Denn die »hier konkret in Rede stehende Entnahme« habe »dem Urheber des Originals nicht die Möglichkeit genommen, einen zufriedenstellenden Ertrag aus seinen Investitionen zu erzielen, weil das neu geschaffene Werk einen großen Abstand hält«
5 U 48/05, Rn. 102 OLG:
Eine Konkurrenz der Tonträger der Beklagten mit denen der Kläger ist in Bezug auf die beiden sich gegenüberstehenden Musikwerke zu verneinen. Sie gehören unterschiedlichen Stilrichtungen an. Und selbst bei einem sich überschneidenden Interesse von Musikliebhabern an beiden Stücken vermag der Erwerb des einen Tonträgers den Erwerb des anderen nicht zu ersetzen und umgekehrt. 5 U 48/05, Rn. 109 OLG
Die Interessenabwägung fällt damit zugunsten der Beklagten aus und auch »eine Verletzung der Leistungsschutzrechte als ausübende Künstler« sowie des »Urheberrechts des Klägers [seien] zu verneinen« 5 U 48/05, Rn. 116 OLG. Ab dem Zeitraum der dritten Phase wurden alle Handlungen der Beklagten, einschließlich ihrer Sampling-Praxis, für rechtmäßig befunden. Es bleibt abzuwarten, wie der BGH diese Entscheidung im Zuge der Revision bewerten wird, da laut Urteil des OLG »die Auslegung und Reichweite des unionsrechtlichen Begriffs des Pastiches noch unklar und in der Rechtsprechung bislang nicht hinreichend abgesichert ist« 5 U 48/05, Rn. 145 OLG.
Zur Zukunft der Rechte von UrheberInnen
Sampling und Urheberrecht aktuell
Aktuell ist im juristischen Kontext Sampling definiert als eine Form der elektronischen Vervielfältigung eines bereits vorliegenden Tonträgers. Die zeitliche Dauer, das Datenvolumen und das Dateiformat sind dabei unerheblich. Daher ist jedes Sample mindestens als teilweise Vervielfältigung eines Tonträgers zu betrachten. Des Weiteren gilt zunächst immer die Annahme, dass beim Sampling der betroffene Ausschnitt eines bereits vorliegenden Werkes zum Bestandteil eines neuen selbstständigen Werkes der Tonkunst wird. Als selbstständiges Werk ist ein Stück Musik anzuerkennen, für das eine ausreichende Schöpfungshöhe feststellbar ist. Hierzu gibt es jedoch keine eindeutig definierten Kriterien. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder Aufführung von Werken mit hörend erkennbaren Samples stellt dahingehend zunächst immer eine Verletzung des Urheberrechts dar. Denn laut Urheberrechtsgesetz genießen UrheberInnen eines Werkes das alleinige und ausschließliche Recht zu dessen Vervielfältigung, Verbreitung und Aufführung.
Damit ein neues Werk nicht als Plagiat eines älteren zu werten ist, muss dieses in veränderter Form erscheinen. Dazu kann es ausreichend sein, dem älteren Werk andersartige Elemente hinzuzufügen oder es in eine neue Gestaltung zu überführen. Wird rekontextualisiertes klangliches Material dabei so stark transformiert beziehungsweise in einer solchen Weise verarbeitet, dass hörend nicht mehr von einem Neuen auf ein älteres Werk geschlossen werden kann, so liegt keine Vervielfältigung im zuvor geschilderten Sinn vor. Sampling ist in einem solchen Fall als Mittel der Tongestaltung zu werten und damit juristisch höchstwahrscheinlich unproblematisch.
Bei der Verwendung hörend (wieder-)erkennbarer Samples kann das Urheberrecht unter bestimmten Umständen eingeschränkt werden. Dies ermöglicht in Ausnahmefällen, dass UrheberInnen neuer referenzierender Werke diese vervielfältigen, veröffentlichen und öffentlich aufführen dürfen, auch ohne zuvor das Einverständnis der UrheberInnen der referenzierten älteren Werke einzuholen. Eine erste mögliche Ausnahme ist das Zitat. Dazu muss allerdings das Original bereits öffentlich zugänglich vorliegen und der Umfang des Zitats dem Zweck angemessen sein. Auch muss entsprechend der so genannten guten Gepflogenheiten wissenschaftlicher oder journalistischer Arbeit auf die Quellen verwiesen werden. Darüber hinaus kann auch eine Karikatur oder Parodie das Urheberrecht einschränken. In jedem dieser drei Fälle muss in neueren Werken eine entsprechende Bezugnahme auf ältere Werke – zum Beispiel eine spöttische oder kritisierende – erkennbar sein. Dies gilt auch für die jüngste der Ausnahmeregelungen: das Pastiche. Gemäß dem diesbezüglich ersten und bislang einzigen Urteils, ist das Pastiche als kommunikativer Akt zu verstehen. Es soll den Dialog mit bereits bestehenden Werken ermöglichen, beispielsweise in Form einer anerkennenden künstlerischen Auseinandersetzung durch Bezugnahme oder stilistische Nachahmung. Dabei ist es erlaubt, fremde Werke oder Werkteile zu übernehmen. Da gegen das besagte Urteil aktuell ein Revisionsverfahren läuft, bleibt abzuwarten, ob diese Definition standhalten wird, oder ob ein Pastiche zukünftig anders zu bewerten ist.
Alternativen und Perspektiven
Die Betrachtung des überaus langen und hinsichtlich der Entscheidungen absurd gewundene Verfahren Metall auf Metall lässt folgendes deutlich erkennen:
Der aktuell gültige juristische Rahmen des deutschen sowie europäischen Rechts dient in erster Linie der Stärkung bestehender und Sicherung zukünftiger wirtschaftlicher Interessen. Er stärkt UrheberInnen primär in ihrer Rolle als Tonträgerherstellende und -vertreibende und hilft darüber hinaus deren Vergütungsansprüche im Zuge öffentlicher Aufführungen zu sichern. Daher ist auch eine unmittelbare Verknüpfung mit dem Themenkomplex der Wertschöpfung durch Tantiemen und Lizenzierungen gegeben.
Das Urheberrecht ermöglicht im Falle von Sampling im Grunde nur, dass UrheberInnen Schadensersatz fordern oder auf Unterlassung klagen können, wenn sie durch Handlungen Dritter ihre potentiellen Möglichkeiten zur Wertschöpfung beeinträchtigt oder verhindert sehen. Musikalische oder künstlerische Aspekte spielen dabei kaum eine Rolle. Drastischer erscheint die Situation aus einer kunstspezifischen Perspektive formuliert: Die aktuelle Gesetzeslage gewährt nur in wenigen und eng begrenzten Ausnahmefällen eine gewisse Freiheit in der Ausübung referenzierender Praktiken der Klangkunst durch Sampling. Wie im Fall Metall auf Metall insbesondere die Zurückstellung und Verwerfung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verdeutlicht hat, wurde schlussendlich ein Status quo der Interessen von primär am kommerziellen Erfolg orientierten AkteurInnen verteidigt. Deutschland und die europäische Union haben sich durch ihre Vorgaben zum Thema Urheberrecht in diesem Fall zu aller Erst als Wirtschaftsraum zu erkennen gegeben und nicht als gesellschaftlicher Raum, den der Schutz persönlicher Freiheiten – in diesem Falle die Kunstfreiheit – kennzeichnet. Immerhin wurde nichts weniger als die im deutschen Grundgesetz verankerte Kunstfreiheit eingeschränkt und der zentrale Paragraph des Urheberrechts zur Gewährleistung künstlerischer Freiheiten gestrichen.
Flexible und aktuelle Ansätze zur Medienregulierung
Die zuvor thematisierten Gesetzte und Vorgaben regulieren den Umgang mit Medien. Diesbezüglich stellt sich abschließend vor dem Hintergrund der aufgezeigten Probleme die Frage: Wie können regulierende Maßnahmen sich zukünftig weniger an einzelnen Aspekten und den Interessen individueller Akteure orientieren, um stattdessen die jeweils akut betroffenen systemischen (Gesamt-)Zusammenhänge sowie deren (gesamt-)gesellschaftliche Implikationen zumindest ausreichend umfassend zu berücksichtigen?
Als diesbezüglich weitsichtig und wertvoll werte ich den Ansatz von Rechtswissenschaftlerin Johanna Rinceanu (Schwerpunkte: Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung und Menschenrechte) und Randall Stephenson – Experte für Verfassungsvergleich und die Sanktionierung von Diffamierung an der Schnittstelle von Pressefreiheit, Demokratietheorie und networked accountability. Beide forschen aktuell zu Hate Speech, Propaganda und Desinformation am Max-Planck-Institut in den Abteilungen Strafrecht und Öffentliches Recht. Die Parallelen zu digital Audio, Sampling und Urheberrecht ergeben sich unmittelbar aus den angeblich bislang gescheiterten Bemühungen, »[…] unerwünschte Inhalte durch Regeln oder Gesetze in den Griff zu kriegen […]«Rinceanu und Stephenson (2023): S. 14..
Die beiden Juristen schlagen in ihrer Forschung eine Brücke zur medizinischen Diagnostik und stellen fest, dass insbesondere das permanente Scheitern von Internetregulierungen offenbar darauf zurückzuführen ist, dass die rechtlichen Vorschriften die jeweils Betroffenen Inhalte »[…] nicht als Symptome einer tiefer liegenden Krankheit behandeln, sondern als eigenständige Erkrankungen […]«Rinceanu und Stephenson (2023): S. 17.. Exemplarisch beziehen sie sich auf die zuvor bereits thematisierten Gesetzesänderungen, die auch in weiten Teilen den juristischen Kontext zu Sampling und digital Audio stark beeinflusst haben: das kürzlich verabschiedete EU-Gesetz über digitale Dienste, welches auf die Harmonisierung nationaler Gesetze in der Europäischen Union zur Regulierung illegaler Onlineinhalte abzielt. Johanna Rinceanu und Randall Stephenson ziehen eine fatale Bilanz des dabei zur Anwendung gekommenen reduktionistischen Ansatzes und beschreiben die juristischen Handlungen als fragmentierte und ineffektive Strategien. Dahingehend verweisen sie auf das weltweit erste Gesetz im Bereich der Internetregulierung: das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz, welches Social-Media-Plattformen zum Identifizieren und Entfernen illegaler Onlineinhalte verpflichtet. Dieses Gesetzt wurde übereilt in Rechtsordnungen mit grundlegend anderen verfassungsrechtlichen Kontexten übertragen. So nutzten nun Länder wie Weißrussland, Äthiopien, Indien, Kenia, Malaysia, die Philippinen und Russland die aus Deutschland übernommene Gesetzgebung, um Social-Media-Plattformen zu verpflichten, »ungesetzliche« politische Onlineinhalte in unangemessen kurzen Fristen zu löschen oder zu sperren. Bei Verstoß drohen horrende Geldbußen. Unterschiede zwischen den zu Grunde liegenden, sich unterscheidenden Rechtssystemen werden dabei außer Acht gelassen, wodurch Freiheitsrechte, wie die Gewissens-, Religions- und Meinungsfreiheit, zunehmend bedroht sind.Vgl. Rinceanu und Stephenson (2023): S. 16-18.
Es sei daher unumgänglich, die betroffenen und (nicht nur!) digital vernetzten Räume »[…] als ein selbstreferenzielles und selbststabilisierendes System zu betrachten, das konzentrierte und koordinierte Antworten von seinen Arzt-Anwälten, Politiker-Anthropologen und Juristen-Diagnostikern erfordert […]«Rinceanu und Stephenson (2023): S. 17.. Mit den utopisch anmutenden Berufsbezeichnungen verweisen die Forschenden auf die Theorien des deutschen Mediziners Rudolf Virchow und des US-amerikanischen Psychiaters George Engel. Der Arzt Rudolf Virchow erklärte bereits 1848, dass die Medizin eine soziale Wissenschaft ist und die Politik im Grunde als »Medizin im Großen« aufzufassen sei. Er vertrat die Haltung, dass die gesamte Gesellschaft durch politisches Handeln Veränderungen erfahren müsse, damit die Medizin ihre zentralen Aufgaben – allgemeine Gesundheitsförderung und Krankheitsbekämpfung – überhaupt erfüllen kann. Im Zentrum der medizinischen Praxis sollte dazu das Aufdecken der komplexen Zusammenhänge zwischen gesellschaftlich-politischen Belastungen und körperlichen Gebrechen stehen. So werden Ärzte zu, wie Rudolf Virchow sagt, »natürlichen Anwälte der Armen« Rinceanu und Stephenson (2023): S. 14.. JuristInnen sollten heutzutage diesem Ideal Rechnung tragend vor allem als gewissenhafte Diagnostiker agieren. Von Georg Engel wurde diese Idee in den 1960er Jahren aufgegriffen. Er plädierte daran anknüpfend für ein neues Paradigma in der Medizinischen Praxis seiner Zeit: Durch die Verschränkung von biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren, sollte ein dynamischer und ganzheitlicher Ansatz in der medizinischen Diagnostik verfolgt werden.
Ansätze wie diese Beiden, haben systemischen Charakter und sind besonders wichtig für – das medizinische Vokabular weiter nutzend – Diagnostik und Behandlung im Kontext digitaler Medien. Als Mittel der Wahl schlagen die beiden Juristen die Anwendung der Rechtsvergleichung und dessen Funktionalitätsprinzip vor. Dieses Prinzip zielt darauf ab, immer zunächst größere gesellschaftspolitische Zusammenhänge aufzudecken, die hinter den formalen Unterschieden von Rechtssystemen stehen. Dazu werden die Besonderheiten eines einzelnen Problems und dessen Lösungsansätze in unterschiedlichen Staaten oder Rechtssystemen detailliert herausgearbeitet. Ziel ist es, ein übergreifendes System mit gemeinsamen gesellschaftspolitischen Problemen hinreichend ähnlicher Rechtsordnungen aufzudecken. Ursachen lassen sich mit dieser Herangehensweise genauer diagnostizieren. Als Beispiel wird auf Hate Speech verwiesen, die in Deutschland den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen kann und im US-Recht hingegen unter den ersten Zusatzartikel der Verfassung (freedom of speech) fallen, und damit in der Regel nicht strafrechtlich verfolgt werden kann. Vgl. Rinceanu und Stephenson (2023): S. 17-18.
Genau wie die medizinische Diagnostik in den zuvor beschriebenen Ansätzen, sollte auch juristisches Vorgehen als ein kontinuierlicher und ganzheitlicher Prozess verstanden und praktiziert werden, welcher immer unter der Bedingung der Unsicherheit abläuft. Die Aufgabe besteht nicht im Versuch einer Wahrheitsfindung, sondern darin, »den Grad der Ungewissheit so weit zu verringern, dass rechtzeitig wirksame therapeutische Maßnahmen ergriffen werden können« Rinceanu und Stephenson (2023): S. 18.. Auch ist im Funktionalitätsprinzip – vergleichbar mit dem clinical reasoning in der Medizin – ein Prozess kritischer Reflexion verankert, um gemeinsame Ziele unterschiedlicher rechtlicher Regelungen aufzudecken, die durch Unterschiede in der Rechtslehre maskiert sind. Gesetzesreformen sollten erst dann erfolgen, wenn der gesamte Prozess so weit fortgeschritten ist, dass sich die Unsicherheiten einer Leithypothese verringert haben. Johanna Rinceanu und Randall Stephenson schlagen schließlich die nachfolgend zitieren Grundsätze im Umgang mit regulierenden Praktiken vor:
[…] der Erfolg der Funktionalität [hängt] letztendlich davon ab, dass wir unser Verständnis der jeweiligen Phänomene verbessern, indem wir unseren Fokus auf Systeme und einen größeren Kontext legen. […] Anstatt nach starren rechtlichen Regeln und Grundsätzen zu suchen, sollte mithilfe rechtsvergleichender Methoden ein flexibler juristischer Rahmen geschaffen werden […]. In Anbetracht des einzigartigen institutionellen und medialen Kontextes jedes Landes ist es nicht ratsam, Vorschriften durch Übersetzung oder Rechtstransplantation zu universalisieren oder mit anderen Rechtssystemen zu harmonisieren. […] Onlineregulierungsbehörden [sollten] starr kategorisierte, übermäßig reduktionistische Ansätze aufgeben. So gibt es beispielsweise keine international anerkannte Definition von Hate Speech, die für alle Rechtsordnungen gleichermaßen gelten kann. Aufstrebende Metadisziplinen wie die Medienökologie können unsere Regulierungsbemühungen unterstützen, indem sie die Verknüpfungen und gegenseitigen Abhängigkeiten komplexer Phänomene wie Hate Speech und Onlinegewalt aufzeigen. Rinceanu und Stephenson (2023): S. 18.
Um den Fokus abschließend wieder auf den Kontext digital Audio, Sampling und Urheberrecht zu richten, möchte ich die mir als besonders relevant erscheinenden Punkte, die für zukünftige regulatorische Maßnahmen in diesen Bereichen von Bedeutung sind, zusammenfassen. Dabei werde ich von den medizinischen Metaphern Abstand nehmen und den zuvor dargestellten Ansatz mit den Erkenntnissen aus meiner Forschung zum Problem der starren und verkürzten (eindimensionalen) Definitionen in Diskursen um die Begriffe Sample und SamplingVgl. Hartmann (2022): Das Phänomen Sampling – Eine multiperspektivische Annäherung. Hildesheim: Georg-Olms-Verlag. verknüpfen:
Wird ein Phänomen zum Gegenstand der Betrachtung, muss sich zunächst um ein ausreichend umfassendes und kontextualisiertes Verständnis bemüht werden. Dabei ist es nachhaltiger, ein Phänomen möglichst anschlussfähig zu beschreiben, um von der Setzung einseitiger und verkürzter Definitionen Abstand zu nehmen. Starre Kategorisierungen und starke Reduktionen können bei der Betrachtung größerer Zusammenhänge zu Gunsten systemischer Ansätze aufgegeben werden. Die durchaus komplexen Verknüpfungen und Abhängigkeiten unterschiedlicher Phänomene innerhalb von Systemen gilt es möglichst umfassend aufzuzeigen. Das Gestalten und Aushandeln von vergleichenden und flexiblen Rahmen führen im Umgang mit Dissens und Konflikt weiter als das Schaffen von starren Regeln und das Beharren auf Grundsätzen. Von der alleinigen Übersetzung oder Übertragung von Spezialfällen, wie beispielsweise regulierende Vorschriften und Maßnahmen, ist abzusehen.
Literaturverzeichnis
- Gesetze, Urteile und Beschlüsse
- BGH (2020a): »Urteil des Bundesgerichtshof I ZR 115/16 in dem Fall Metall auf Metall«.
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- BVerfG (2016): »Urteil des Ersten Senats vom 31. Mai 2016 – 1 BvR 1585/13 – Rn. (1-125)«.
- Oberlandesgericht Hamburg – Metall auf Metall III (28.04.2022) 5 U 48/05, ECLI:DE:OLGHH:2022:0428.5U48.05.00.
- Gesetz über die urheberrechtliche Verantwortlichkeit von Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten (Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz - UrhDaG), 31.05.2021, BGBl. I S. 1204-1215.
- Literatur
- o.V.: Kraftwerk legen Revision zum BGH ein: Streit um "Metall auf Metall" geht immer noch weiter. In: Legal Tribune Online, 13.05.2022, https://www.lto.de/persistent/a_id/48438/.
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- Döhl, Frédéric (2015): »Einige Anmerkungen zur Metall-auf-Metall-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und dessen Folgen für fremdreferenzielles Komponieren qua Sound Sampling«. Mediale Kontrolle unter Beobachtung. www.medialekontrolle.de.
- Döhl, Frédéric (2016): Mashup in der Musik – Fremdreferenzielles Komponieren, Sound Sampling und Urheberrecht. Bielefeld: transcript.
- Döhl, Frédéric (2022): Die Urheberrechtsreform 2021 und ihre Konsequenzen für die künstlerische Kreativität. Bielefeld: transcript, DOI: doi:10.1515/9783839462485.
- Döhl, Frédéric / Wöhrer, Renate (Hg.) (2014): Zitieren, Appropriieren, Sampeln – Referenzielle Verfahren in den Gegenwartskünsten. Bielefeld: transcript. Enders, Bernd (1997): Lexikon Musikelektronik. 3. Aufl. Mainz: Atlantis; Schott.
- Hartmann, Tobias (2022a). »Das Phänomen Sampling - Eine multiperspektivische Annäherung«. Hildesheim: Georg-Olms-Verlag. https://doi.org/10.18442/MMD-5.
- Rinceanu, Johanna / Stephenson, Randall (2023). „Eine Diagnose Digitaler Krankheiten.“ In: Max Planck Forschung, S. 14–19. URL: https://www.mpg.de/19309996/W001_Zur-Sache_014-019.pdf.